Der Blumenweg - Meditation durch das Tun

Farbige Blätter liegen braun und nass auf dem Boden. Büsche und Bäume
sind kahl. Die letzten Blätter hängen an den äussersten Zweigen und geben
den verästelten Linien Leben. Die gelben Ahornblätter flattern im Wind.
Die Schönheit dieses vergänglichen Augenblicks prägt sich in mein inneres
Auge, wie ein gemaltes Bild oder ein abgelichtetes Motiv auf dem Spazierweg.

Mein Weg heisst Ikebana. Es ist die aus der Zentradition entstandene Kunst
des Blumensteckens, wie sie heute in Japan und in der ganzen Welt von vielen
Schulen vermittelt wird.

Ikebana - die japanische Blumenkunst bedeutet vergägliche Kunstwerke. Nur
kurze Zeit sind sie in der vollendeten Form zu sehen. Die Blüten öffnen sich,
einige welken bald. Das Arrangement verändert sich; es kann nicht festgehalten
werden. Nicht die geöffneten Blumen werden für Ikebana verwendet, sondern die
geschlossenen und halboffenen. Sie zeigen den Weg der Vergänglichkeit durch
ihre verschiedenen Stadien an. Sie erinnern an unser eigenes Leben.

Seit Jahrhunderten bestehen Formen von sorgfältig eingestellten Blumen, Blättern
und Zweigen. Für ein Ikebana-Arrangement ist das wichtigste Werzkeug die Ikebana
-Schere. Sie dient zum Schneiden von feinsten Blumenstengeln und auch von starken
Zweigen. Wie der Pinsel eines Malers das Bild entstehen lässt, so entwickelt sich
durch den Gebrauch der Schere am Material das dreidimensionale Bild eines Ikebana.

Die Arbeit mit den natürlichen Materialien ist die erste Übung auf dem Blumenweg.
Im Erkennen des Zweiges, im Formen durch Biegen und Wegschneiden entstehen die
Linien für die Vorbereitung des Arrangements. Durch die eigene innere Beteiligung
und Konzentration entsteht eine Kommunikation zwischen den natürlichen, lebenden
Materialien wie Zweige, Blumen und Blätter und der Person, die ein Arrangement
gestaltet. Kleinste Veränderungen im Abdrehen des Astes, im Wegnehmen eines
Blattes, im Zurückschneiden weisen einen Schritt weiter, näher hin zur
perfekten Harmonie.

AM 02-05-2003